Völlig am Rad gedreht

2008 fuhr er auf seinem Fahrrad von München nach Singapur und legte dabei in 211 Tagen 13.500 Kilometer zurück. Am 1. Januar 2012 brach Maximilian Semsch in Sydney erneut zu einer ungewöhnlichen Reise auf. In 187 Tagen umrundete der 29-jährige Münchner, dieses Mal auf einem E-Bike, den Australischen Kontinent. 16.000 Kilometer radelte er dabei auf dem National Highway No. 1, der längsten Nationalstraße der Welt, durch unterschiedliche Klima- und Zeitzonen. Seine Reise gilt als die bisher längste Testfahrt auf einem E-Bike.

Australien auf einem Fahrrad umrunden, wieso will man das?

Australien hat mich, seit ich einmal für ein paar Monate dort gearbeitet habe, unheimlich fasziniert. Damals hatte ich aber zu wenig Zeit, um das Land richtig kennen zu lernen. Das wollte ich nachholen. Das Fahrrad als Fortbewegungsmittel gefällt mir. Du bist schnell genug, um ordentlich voranzukommen und langsam genug, um deine Umgebung richtig wahrzunehmen.

Mit dem Fahrrad über den Highway. Etwas unromantisch, oder?

Australien hat die Größe Europas, aber nur 20 Millionen Einwohner. 90 Prozent der Bevölkerung lebt in Städten. Heißt: Sobald du die Stadt verlässt, bist du alleine. Das Wort Highway täuscht ein wenig. Wenn man im Outback Australiens unterwegs ist, gibt es nämlich nur noch diese Straße. In ländlichen Regionen ist der Highway einspurig und entspricht einer Landstraße.

Als Sie 2008 im Hofgarten München nach Singapur aufbrachen, saßen Sie auf einem ganz normalen Fahrrad. Dieses Mal auf einem E-Bike. Warum das?

Ich wollte auf keinen Fall auf das Rad verzichten, aber etwas Neues ausprobieren. Nach meiner letzten Reise hielt ich viele Vorträge, auch auf Messen, und habe mitbekommen, dass Elektromobilität das große Thema ist. Bei meiner Recherche fand ich heraus, dass noch niemand ein E-Bike über eine lange Distanz gefahren ist. Mich interessierte, wie weit man mit so einem Ding eigentlich kommt. Außerdem war ich nach ersten Probefahrten auf dem E-Bike vom Fahrspaß begeistert.

Ein E-Bike hat das Image eines Oma-Fahrrades. Passt das zu einem Abenteuer?

Es gibt unterschiedliche E-Bikes. Ich saß auf einem Pedelec Bike, einem normalen Fahrrad, das einen kleinen Motor, einen Akku und eine Bedieneinheit integriert hat, über die ich die Technik steuern konnte. Pedelec bedeutet, dass ich mich, wenn ich nicht trete, auch nicht fortbewege. Es gibt keinen Gashebel. Trete ich aber in die Pedale, wird mein Input über den Motor vervielfacht. Als ich 2008 von München nach Singapur radelte, hatte ich eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 15 Km/h und legte in etwa 65 Kilometer pro Tag zurück. In Australien war der Tagesschnitt 21 km/h und 90 Kilometer. Ob du auf einem normalen Fahrrad oder einem E-Bike fährst – nach acht Stunden bist du platt. Einziger Unterschied: Auf einem E-Bike bin ich nach acht Stunden weiter gekommen.

Wo haben Sie Ihre Akkus aufgeladen?

In dicht besiedelten Gegenden in einer Steckdose. Und sonst über eine Solarzelle, die aufs Autodach geschnallt war. Je nach Sonneneinstrahlung konnten wir drei bis fünf Akkus pro Tag aufladen.

Sie unternahmen die Reise also nicht alleine?

Nach meiner Singapur-Reise musste ich meiner Freundin Marion versprechen, dass ich sie, sollte ich wieder aufbrechen, mitnehme. Sie konnte dank einer kulanten Chefin im Job ein Sabbatical einlegen. Außerdem begleitete uns Frank Richter als Kameramann in einem Auto.

Auf Ihrer ersten Reise haben Sie selbst gefilmt.

Und habe mir geschworen, das nie wieder zu tun. Daher habe ich einen reiselustigen Begleiter gesucht, der genügsam ist, gut filmen kann, lange Zeit und kein Problem damit hat, monatelang im Zelt zu schlafen. Marion, Frank und ich waren ein Team.

E-Bike, Begleitfahrzeug, Kameramann. Ist Maximilian Semsch ein wenig bequemer geworden?

Ich wollte die Reise gut dokumentieren. Daher der Kameramann. Nach acht Stunden auf dem Fahrrad hast du nämlich keinen Nerv mehr, dich auch noch ums Filmen zu kümmern. Das war bei München-Singapur phasenweise stressig und trübt den eigentlichen Sinn der Reise. Mit dem Auto hatte ich nicht allzu viel zu tun. Mein Tagesgepäck transportierte ich selbst. Außerdem ist Frank ja nicht mit 15 km/h hinter mit her gefahren. Im Grunde waren das zwei individuelle Reisen mit fix abgemachten Treffpunkten. Es gab etliche Tage, an denen wir uns gar nicht gesehen haben.

Ist Ihre Freundin auch geradelt?

In der Vorbereitung auf die Reise bat ich den Hersteller meines Rades, mir für den Notfall ein zweites E-Bike mitzugeben. Das erschien mir schlauer, als hundert Einzelteile für etwaige Reparaturen mitzunehmen und hatte den Vorteil, dass Marion nach Lust und Laune mitradeln konnte. Mein Kumpel Ray Mackenzie aus England, ein echter Weltenbummler, war zufällig gerade in Melbourne stationiert. Als er hörte, was ich mache, kündigte er als Tellerwäscher und radelte an die 5.000 Kilometer mit mir bis nach Perth, wo er sich dann nach einem neuen Job umschaute.

Geschlafen nur in Zelten, immer selbst verpflegt?

Australien ist für unsere Verhältnisse sehr teuer. Um Geld zu sparen, haben wir fast ausschließlich im Zelt geschlafen. Australien ist aber eine Campingnation. Du bekommst überall alles, um dich richtig gut selbst zu versorgen.

Wie groß war die sportliche Herausforderung auf dieser Reise?

Sehr groß. Auf meinen 16.000 Kilometern hatte ich ungelogen auf 7.000 Kilometern starken Gegenwind. Das war sogar auf einem E-Bike extrem frustrierend. In diesen Phasen begegnen dir dann Radfahrer, die in die andere Richtung fahren. 60 Jahre alt, 40 Kilo Gepäck, kein E-Bike und sie erzählen dir, wie toll es ist hier Rad zu fahren und dass sie 250 Kilometer am Tag zurücklegen konnten. Und du strampelst dir mit 16 km/h auf dem E-Bike einen ab. Um zu sehen, was beim E-Bike Fahren mit meinem Körper passiert, unterzog ich mich vor und nach der Reise einer sportmedizinischen Untersuchung. Insgesamt habe ich 6 Kilo abgenommen und mich im Ausdauerbereich extrem verbessert. Wäre ich ständig in einem untertourigen Bereich mit niedriger Herzfrequenz gefahren, hätte ich diese Werte signifikant steigern können.

Aber?

Ich stieg täglich aufs Fahrrad und radelte volle Pulle los.

Nie gedacht: „Verdammt, wieso fahre ich eigentlich im Uhrzeigersinn und nicht anders rum?“

Natürlich fragst du dich das. Mein Plan war es, im australischen Sommer im Süden zu sein. Und den Winter über durch den Norden Australiens, der in der tropischen Klimazone liegt, zu radeln. Im Süden hatte ich angenehme 35 Grad und keine allzu hohe Luftfeuchtigkeit. Im Norden erwarteten mich drei wirklich strapaziöse Wochen. Drückende, schwüle Hitze, 40 Grad, extrem hohe Luftfeuchtigkeit. Abends liegst du nackt im Zelt, pitschnass, ringst nach Luft und kannst nicht schlafen. Wer kann das schon, in einer Sauna? Wäre ich in die andere Richtung gefahren, hätte ich in dieser Zone mehr Zeit verbringen müssen. Dann lieber nur drei Wochen und mit Gegenwind. Heute würde ich insgesamt anders planen. Ich würde nicht mehr im Januar, sondern im April starten und tatsächlich gegen den Uhrzeigersinn reisen.

Weitere Herausforderungen?

Australien ist groß, leer und heiß. Im Outback radelst du von einer Tankstelle zur nächsten 350 Kilometer. Dazwischen ist nichts. Nur Buschland. Die Landschaft ändert sich nicht. Vom Kopf her ist diese Monotonie anstrengend. Du musst dich mit irgendetwas beschäftigen, sonst drehst du durch.

Womit?

Solange du einen Begleiter hast, ist alles easy. Man kann sich unterhalten oder etwa „Ich sehe was, was du nicht siehst“ spielen. Bist du alleine, wird es schwierig. Irgendwann hast du jedes Hörbuch und jeden Titel deiner Musiksammlung gehört. Dann fängst du an etwas merkwürdige Dinge zu tun.

Ein Beispiel?

Mittelstreifen zählen. Auf zehn Kilometer waren das 610 Striche in unterschiedlicher Länge. Dann kam die erste durchgezogene Linie.

Die giftigsten Schlangen gibt es in Australien. Erfahrungen damit – oder mit anderen wilden Tieren– gemacht?

Ich habe zehn Giftschlangen gesehen, aber nur eine vor die Kamera bekommen. Kaum siehst du sie, sind sie auch schon weg. Auch die Spinnen blieben brav in ihrem Netz. Vor Tieren hatte ich nie Angst. Respekt hatte ich vor ganz anderen Dingen.

Die da wären?

Richtig Schiss hatte ich vor dem Straßenverkehr. In Deutschland bist du als Fahrradfahrer ein vollwertiger Verkehrsteilnehmer. In Australien ist das Gegenteil der Fall. Außerhalb der Städte, der großen Distanzen wegen, fährt keiner Rad. Du bist auf der Straße nicht willkommen, sondern wirst beschimpft, angehupt, kriegst den Mittelfinger gezeigt oder wirst mitunter sogar mit Milchshakes beworfen. Und das, obwohl die Australier sonst ein freundliches, offenes, lebenlustiges Völkchen sind. Mit einem Radl bist aber du – zumindest auf der Straße – völlig unerwünscht.

Also nahm man keine Rücksicht auf Sie?

Die fahren ungebremst dicht an dir vorbei. Die so genannten Road-Trains, Laster mit etlichen Anhängern, waren bis zum 60 Meter lang. Wenn dann zig Tonnen mit 110 Sachen an dir vorbeidonnern, wird es finster. Der letzte Anhänger schert einige Meter aus. Da hilft dir kein Helm mehr. Nur noch die Flucht in den Straßengraben!

Wie hat das Material standgehalten?

Ganz im Gegensatz zu meinem Begleitfahrzeug haben beide Räder gut durchgehalten und sind zusammen 26.000 Kilometer gefahren. Insgesamt hatten wir sieben Platten, einen Speichenbruch, ein Kettenspanner ist kaputt gegangen, zweimal musste ich die Kette wechseln und einmal die Bereifung. Das Material hat problemlos funktioniert. Ich konnte alles hightecmäßig dokumentieren. Meinem Rad wurde eine Art Blackbox eingebaut. Die Industrie ist an den Auswertungen meines Langzeit-Tests ja sehr interessiert.

Hatten Sie eine E-Bike Sonderanfertigung?

Um den Test so realistisch wie möglich zu gestalten, haben wir alle Einzelteile, also Rahmen, Gangschaltung und Motor von der Stange genommen. Man kann mein E-Bike bei jedem Haibike Händler kaufen.

Offensichtlich gab es mit dem Begleitfahrzeug Probleme. Was war los?

Wir haben in Sydney ein 30 Jahre altes Auto gekauft. 400.000 Kilometer auf dem Buckel. So ein Kauf ist reine Lotterie. Kann gut gehen, muss aber nicht. Nach zwei Drittel der Reise häuften sich die Pannen. Es war nervenaufreibend.

Dann hätte also ein Auto Ihre Fahrradreise beinahe zum Scheitern gebracht?

Grotesker Weise ja. Ein weiterer Schaden und wir hätten aufgeben müssen, weil wir kein Geld mehr für weitere Reparaturen hatten. Aber dann fuhr das Auto plötzlich, wenn auch nur noch mit 50 km/h, bis zum Ende durch.

187 Tage auf dem E-Bike. Radelt man sich da nicht wund?

Klar radelt man sich irgendwann einen Wolf. Da kann man nichts dagegen tun. Weiterfahren und Zähne zusammenbeißen bis sich eine Hornhaut bildet.

Sie könnten einen Eintrag in Guinness Buch der Rekorde beantragen, oder?

Mir geht es auf meinen Reisen überhaupt nicht um Rekorde. Außerdem käme ohnehin schnell einer daher, der noch weiter auf einem E-Bike radelt. Also, was soll der Quatsch? Mir geht es im Gegenteil darum, mich möglichst langsam fortzubewegen, um die Reise bewusst zu erleben. Ich wäre liebend gerne in zwölf, anstatt sechs Monaten um Australien gereist. Mein Alltag in München ist ziemlich durchstrukturiert und stressig. Ständig muss man Entscheidungen treffen. Auf meiner Radreise war meine Mission ganz simpel. Aufstehen, frühstücken, radeln, Zeltplatz suchen, essen, schlafen. Kein Internet, kein Handy, kein Briefkasten. Herrlich war das!

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what-a-trip.de