Mein schwerster Gang

Einen Tag nach dem Unglück sprach Johanna Stöckl für die TZ via Satellitentelefon mit Gerlinde Kaltenbrunner im Basislager des K2.

Wann sind Sie ins Basislager zurückgekommen?

Ich bin Freitag gegen 23.30 Uhr im Basislager angekommen. Nach den tragischen Erlebnissen am Berg war der Abstieg extrem hart. Nach wie vor herrschte große Steinschlaggefahr in der gesamten Route. Dazu die emotionale Ausnahmesituation, die einen lähmt und blockiert. Es war ein sehr schwieriger Gang für mich.

Wie geht es Ihnen psychisch?

Ich kann meinen seelischen Zustand momentan schwer beschreiben und bitte auch um Verständnis. Die Bilder vom Unglück und der Tragödie, die ich am Berg erlebt habe, sind noch sehr gegenwärtig vor meinen Augen. Es fällt mir schwer darüber zu sprechen. Ich bin geschockt und tief traurig.

Wie geht es Ihnen körperlich?

Ich bin unverletzt und heil im Basislager angekommen. Aber ich fühle mich leer, bin sehr müde. Die Strapazen haben viel Kraft gekostet. Ich habe nach Erreichen des Basislagers getrunken und ein wenig gegessen. Ich konnte ein paar Stunden schlafen, mich aber körperlich natürlich noch nicht erholen. In diesem Zustand ist das auch nicht möglich.

Als erfahrene Bergsteigerin werden Sie immer wieder mit dem Tod von Bergkameraden konfrontiert. Wie gelingt es Ihnen das Trauma solcher Tragödien zu bewältigen?

Momentan bin ich sehr erleichtert, dass mein Mann Ralf hier ist. Gespräche mit ihm sind mir eine große Hilfe. Auch die Anwesenheit der anderen Bergsteiger, die Fredrik gut kannten, ist in gewisser Weise eine Unterstützung. Fertig werden muss man allerdings selbst damit. Das dauert. Manchmal ist es auch einfach gut, zu trauern und zu schweigen. Da gibt es kein Rezept.

Ihr Visum läuft Ende August aus. Werden Sie einen weiteren Versuch am K2 starten?

Nein, momentan will ich hier nur weg. Ein erneuter Versuch kommt für mich jetzt überhaupt nicht in Frage. Wir bauen unser Lager auch bereits ab, befinden uns im Aufbruch und fahren nach Hause.

Werden Sie irgendwann zurückkehren zum K2, ihn erneut besteigen wollen, nachdem bisher 6 Versuche gescheitert sind?

Ganz ehrlich, momentan ist das für mich kein Thema. Ich beschäftige mich jetzt nicht mit dieser Frage. In meinen Gedanken bin ich jetzt ganz woanders. Außerdem ist es einem Außenstehenden ohnehin kaum vermittelbar, wieso man – auch nach solchen Tragödien – an seiner Leidenschaft festhält. Das können nur andere Bergsteiger, Menschen mit einer ähnlichen Passion verstehen. Ich bin seit vielen Jahren auf den höchsten Bergen dieser Erde unterwegs. Die Leidenschaft entwickelt sich, man wächst hinein. Ich trainiere das ganze Jahr über. Ich bereite mich intensiv auf solche Projekte vor. Und ich setze mich auch laufend mit den Gefahren auseinander. Ich bin kein Hasardeur. Jeder Alpinist weiß, worauf er sich einlässt.

Wer hat den Eltern von Fredrik Ericsson die tragische Nachricht vom Tod ihres Sohnes übermittelt?

Die Ärztin aus dem Team der polnischen Bergsteiger hat die Nachricht übermittelt. Sie stand Fredrik Ericsson sehr nahe. Danach gab es auch ein langes Telefonat zwischen meinem Mann Ralf und dem Vater des Verstorbenen. Um kein weiteres Risiko einzugehen, kein weiteres Leben zu gefährden, meinte Fredriks Vater, man solle seinen Sohn in den Bergen lassen. Er sei schließlich auch dort zu Hause.

Ihr Ehemann Ralf hat am Donnerstag beschlossen auf 7.200 Metern umzukehren. Sie entschieden sich für einen Aufstieg. Trifft das Ehepaar Kaltenbrunner/Dujmovits getrennte Entscheidungen am Berg oder versucht man sich gegenseitig zu beeinflussen?

Jeder trifft am Berg seine eigene Entscheidung. Vorausgesetzt natürlich, es geht dem anderen gut. Ich hätte Ralf natürlich im Abstieg begleitet, wenn er meine Hilfe gebraucht hätte. Aber grundsätzlich trifft jeder seine ganz persönliche Entscheidung. Wir beraten und besprechen uns selbstverständlich, stehen einander aber nicht im Weg. Auch das ist vielleicht für Unbeteiligte schwer nachzuvollziehen. Als Bergsteiger-Ehepaar ist man da in einer ganz besonderen Situation.

Laut Statistik stirbt jeder 4. Mensch auf dem Weg zum oder vom K2. Ericsson wollte den K2 auf Skiern abfahren. Entsprechend musste er zusätzlich Skischuhe und Skier hoch tragen. Ist das Projekt „Ski the Big 3“ ein vielleicht unmögliches Projekt?

Der K2 ist einer der schwierigsten Berge. Ihn besteigen zu wollen, ist und bleibt ein gefährliches Unternehmen. Das weiß jeder Bergsteiger. Das wusste auch Fredrik Ericsson. Ich kannte Fredrik als einen ausgesprochen guten und leistungsstarken Alpinisten. Ich kannte ihn auch als extrem guten Steilwandfahrer. Ich habe ihn ja am K2 bereits mehrmals Skifahren gesehen. Wir haben uns natürlich auch über die Gefahren seines Projekts unterhalten. Das größere Risiko erschien mir die Abfahrt auf Skiern zu sein. Für Außenstehende war sein Vorhaben vielleicht grenzwertig. Für ihn aber erschien es machbar. Dieses Projekt war seine ganze Leidenschaft. Wir versuchen alle das Risiko zu minimieren, indem wir uns minutiös vorbereiten, präzise planen. Das hat auch Fredrik getan. Aber die Berge dieser Höhe sind und bleiben gefährlich.